Als ich früher von wilden Geschichten über Männer und ihre Midlife-Crisis hörte, packte ich mir an den Kopf und/oder schüttelte selbigen. Wieso sollte das Lebensalter urplötzlich, nicht
selten über Nacht, so einen gewaltigen Einfluss auf das Denken und Handeln haben? Völlig absurd, wie ich fand. Insbesondere die Geschichten, wo ein Mann morgens aufwachte und sein Leben plötzlich
als unzureichend oder mangelhaft empfand und von jetzt auf gleich, alles anders machen wollte.
Heute sehe ich das ganze nicht mehr als ganz so wunderlich an. Nein, nein, nein... ich befinde mich nicht just in besagter Krise oder meine plötzlich alles infrage stellen zu müssen. Wohl aber
erkenne ich, dass meine Entscheidungen, die ich heute treffe, mehr im Kontext zum Lebensalters stehen. Wenn ich mich an Projekte wage, stelle ich mir öfter als früher die Frage, wieviel Zeit
habe ich oder kann ich dafür erübrigen? Welche Zeit investiere ich dagegen lieber doch für anderes? Wieviel wende ich fürs (Er-)Schaffen auf und wieviel fürs
(Er-)Leben? Zeit bekommt eine andere Bedeutung, je mehr ich mir bewusst werde, dass sie begrenzt ist und davon auszugehen ist, den Zenit meines Seins auf diesen
Planeten langsam überschritten zu haben.
Für den ein oder anderen mag es nach Melancholie klingen, die hier mitschwingt. Dem ist aber nicht so. Im Gegenteil! Statt es zu bedauern, freue ich mich über die Erkenntnis, dass
nur richtig sein kann, meine Zeit sinnvoll zu nutzen und mit Leben zu füllen, was eben meinem Leben entspricht. Ich spüre auch, dass es nicht (mehr) gilt, sich täglich neu zu erfinden. Ich
muss und möchte nicht wöchentlich meine Schwerpunkte verändern, weil es gerade opportun zu sein scheint, immer auf der Suche zu sein. Nein, ich erkenne, dass ich wenig Interesse daran habe,
gehetzt und getrieben stetig auf der Suche zu sein:
- nach dem Sinn des Lebens
- nach dem wahren ICH
- nach der perfekten Erfüllung
- nach Verständnis
- nach Anerkennung
- und so weiter, und so weiter...
Lieber komme ich an - und genieße das gute Gefühl von Wohlbehagen und Gelassenheit. Eigentlich sollte das eher eine Selbstverständlichkeit sein, denke ich. Aber viele Gespräche der letzten Wochen haben mir oft gezeigt, wie viele Menschen doch fast ihr ganzes Leben auf der Suche sind...oft ohne zu wissen, wonach eigentlich. Wichtig scheint nur, dass das HIER UND JETZT nicht reicht. Oft ist alles zu schlecht oder eben nicht ausreichend gut, um wirklich zufrieden zu sein. Noch schwieriger wird es, ändern sich die Aspekte, die einem wichtig sind, wöchentlich (oder gar täglich). Mal ist es eine Partnerin oder ein Partner, der gefunden werden will... dann ist es ein erfülltes Single-Leben das erhalten werden soll... schließlich ist der Wunsch nach Kindern das Größte... um übernächste Woche ein Loblied auf die eigene Freiheit und Ungebundenheit anzustimmen.
Ich kann es verstehen, gesellt sich zu dieser Unstetigkeit oder Unzufriedenheit die Erkenntnis, dass die Zeit endlich ist, mag Panik aufkommen, die die Menschen plötzlich veranlasst, alles auf Links zu drehen. Plötzlich wird "Weitermachen oder Neubeginn" zu einer Grundsatzfrage... nur eben ohne zu wissen, was neu angefangen werden soll oder zu erkennen, dass das bisherige gar nicht nur furchtbar war.
So dachte ich daran, wie viele Seiten meines aktuellen Buchprojektes im virtuellen Papierkorb landeten. Erst begeistert, war plötzlich alles Mist. Bei einem Buchprojekt sicher nervig und
hinderlich genug. Agieren wir so aber auch im wirklichen Leben, kann es zur Belastung werden. Da immer wieder neu zu beginnen, sich immer wieder neu zu erfinden, mag spannend sein...
fordert und überfordert letztlich nicht wenige.
Daher wünsche ich jedem den wachen Blick, wenn ihm wahre Freude begegnet und das Glück seinen Weg kreuzt. Es passiert öfter, als wir denken - nur huschen wir oft zu schnell durch die Welt,
um es zu erkennen. Auch unsere verbissenen Versuche, doch Großes zu leisten, lassen die Wunder im Kleinen viel zu oft unbemerkt werden. Und Hand aufs Herz: Was heißt es eigentlich, "Großes"
zu leisten oder groß zu sein? So passte es gerade, dass mir dieser Tage die Worte des Dänen Sören Kierkegaard begegneten:
"Das Große ist nicht dies oder das zu sein, sondern man selbst zu
sein."
Recht hat der Mann, wie ich finde... und nicht selten, mag genau das schon eine Herausforderung sein...
In diesem Sinne allen einen schönen Sonntag, herzliche Grüße und das richtige Händchen bei der Entscheidungsfindung zwischen Weitermachen und Neubeginn!
Frank Neumann