Die Sonne beschien mit ihren letzten noch warmen Strahlen des Jahres die dänische Küstenstadt Sonderburg. Direkt an einem Nebenarm der Ostsee liegend, das alte Schloss auch heute noch imposant an der Hafeneinfahrt liegend, bot sich für jeden Besucher ein beeindruckender Anblick:
Die vielen grünen Gärten und satten Rasenflächen des Städtchens auf der einen Seite und daneben der kräftige Kontrast der tiefblauen See. Dies sowie der Flair einer alten Residenz- und Hafenstadt, lockte alljährlich viele Besucher in das gemütliche Städtchen. Und auch die Einheimischen waren durchaus Stolz auf ihr Zuhause. Nicht zuletzt auch aufgrund der geschichtsträchtigen Vergangenheit, die sich um besagtes Schloss und die die einstigen Ereignisse vor den Stadttoren rankte. Dort, wo 1864 eine gewaltige Schlacht zwischen Dänen und Preußen tobte. Mit vielen Toten und Verwundeten spiegelten diese Tage die Schrecken des damaligen Krieges wider, aber auch manch Heldensaga entstand. Es war schon ein besonderer Ort im südlichen Jütland und ebenso besonders waren auch die dort lebenden Menschen.
An diesem Tage hüllte die Sonne mit ihrem Schein die seichten Hügel eines Parks in angenehmes Licht. Sie verlieh auf dieser Weise dem jahreszeitbedingten schwächer werdenden Grün der Pflanzen nochmals eine besonders tiefe Färbung. Obwohl sich an einigen Stellen zusehends der nahende Herbst ankündigte. Im Wandel der Jahres hatten sich vereinzelt Brauntöne der ersten Blätter bemächtigt. Die eine Jahreszeit verging, und die Natur ebnete der nächsten ihren Weg.
Stine Janssen verfolgte das Wechselspiel der Sonnenstrahlen mit den gelegentlicher Wolkenschatten. Die 52jährige Frau, deren einst dichtes, tiefschwarzes Haar inzwischen deutlich ausgedünnt und von zahlreichen grauen Strähnen durchzogen war, lag auf einem Liegestuhl. Dessen Rückenlehne war aufgerichtet, so dass sich ihr ein guter Blick über das Geschehen im Park bot. Sie beobachtete, wie Schatten über die Hügel wanderten, wenn sich Wolken vor die Sonne schoben. Fast hatte es den Anschein, die Hügel selbst würden sich bewegen, so surreal war das Spiel von Schatten und Licht. Natürlich war all das nur eine Täuschung. Aber es zeigte wieder einmal, welch wundersame Entdeckungen es zu machen galt, nahm man sich die Zeit und Ruhe auf das Alltägliche genauer zu achten.
Aber wann nahm sich jemand schon für so etwas die Zeit?
Den Blick auf die Natur gerichtet und innehaltend, einfach im Moment verweilend... wer konnte für sich
beanspruchen, regelmäßig dafür die Muse zu haben? Vielleicht noch ein Jäger, für den es Teil seiner täglichen Arbeit war, wenn er auf den Hochsitz seinen Blick über die Felder am Waldrand wandern
ließ, um das Wild zu erspähen, dass die schützenden Wälder rund um Sonderburg leichtsinnig verlassen hatte. Selbst da aber war es weniger innehalten, als vielmehr das Bemühen, seiner Berufung
nachzugehen.
Zeit.
Ein so kurzes Wort mit einer so großen Bedeutung.
Lange Zeit schon wandelten Menschen auf diesem Planeten und schrieben ihre Geschichten. Aber wirklich aus der Zeit gelernt hatten die Menschen nur wenig, wie immer wieder aufkeimende Konflikte in allen Teilen der Welt in bedrückender Weise belegten.
Zeit füllte zwar ein ganzes Menschenleben aus, und trotzdem war sie letztlich doch immer zu knapp.
Stine Janssen atmete tief ein.
Langsam schloß sie ihre grau-blauen Augen und dachte daran, wie ihre eigene Zeit auch nie ausgereicht hatte. Egal was sie tat, Zeit war immer ein knappes Gut. Tatsächlich kannte sie keinen Menschen, der jemals Zeit gehabt hätte. Mal nahm man sie sich halt, zwangsläufig. Für alles, was eben sein musste und ganz, ganz selten für das, was wir doch unbedingt mal wollten. Aber wirklich für alles, was uns wichtig schien, war nie genug davon da.
Die Rufe von Kinderstimmen rissen Stine aus ihren aufkommenden Gedanken. Sie öffnete ihre Augen wieder, um mit ihrem Blick den Ursprung des kindlichen Treibens zu erspähen. Kurz darauf viel fiel Augenmerk auf eine Familie, die den von Bäumen umsäumten Spazierweg entlang geschlendert kam. Der Vater trug einen Jungen, der schätzungsweise vier Jahre alt war, auf den Schultern. Bei jedem seiner Schritte, wippte der Kleine dort oben auf und ab. Währenddessen sprang ein zwei bis drei Jahre älteres Mädchen abwechselnd um die Beine des Vaters und ihrer Mutter herum. Der kleine Bruder schien am Treiben seiner Schwester sichtlich Spaß zu haben. Amüsiert verfolgte er, wie sie herumtobte und dabei ihre Eltern ärgerte. Die reagierten mit gespielter Empörung, und als die Mutter schließlich das Mädchen unvermittelt schnappte, verfielen alle in ein ausgelassenes Lachen.
Der Blick der stillen Beobachterin folgte der Familie noch einen Moment, bis sie auch das vermeintliche Ziel der ankommenden Familie entdeckte. Es war ein älterer Herr , der auf einer Bank unter den Bäumen saß. Zielstrebig gingen die vier Neuankömmlinge in dessen Richtung. Als der Mann seinerseits schließlich die Vier erblickte, strahlte er und breitete seine Arme aus. Kurz darauf riss sich das Mädchen von ihrer Mutter los und rannte auf ihn zu. Es war wohl ihr Großvater, dem sie in diesem Moment in die Arme fiel und beide gleichermaßen über das Wiedersehen erfreut waren. Insbesondere dem Mann auf der Bank war seine Freude geradezu ins Gesicht geschrieben, jetzt wo er seine Lieben um sich wusste.
Stines Augen schlossen sich wieder für einen Moment.
Nur kurz.
Dann schaute sie erneut zu dem Familientreffen, deren Zeugin sie unvermittelt geworden war. Dort wurden herzliche Umarmungen und liebe Worte ausgetauscht, als Stine unvermittelt an ihre eigene Familie denken musste.
Ganz besonders an ihre Tochter Maria.
Maria, die als Kind ebenso lebhaft wie das kleine Mädchen dort drüben bei der Bank gewesen war. Die aber auch
ein Opfer viel zu knapper Zeit geworden war - der knappen Zeit ihrer Mutter.
Als Maria klein war, hatte Stine nie ausreichend Zeit sich selbst umfassend um sie zu kümmern. Zu überladen war ihr Arbeitsalltag als Geschäftsführerin des mittelständischen Familienunternehmens. Diese Position hatte Stine, nach dem frühen Tod ihres Vaters, bereits als junge Frau übernehmen müssen. Damit damals nicht genug, galt es bald sich mit der Rolle der werdenden Mutter anzufreunden. Viel Verantwortung in verschiedenen Lebensbereichen. Noch dazu, wo sie bereits kurz nach der Geburt alles alleinerziehend angehen musste. Dank der familienfreundlichen Leistungen des Wohlfahrtsstaats Dänemarks, bekam die heute 52jährige letztlich alles hin. Nur das der Großteil der Betreuung ihrer Tochter durch andere sichergestellt wurde. Insbesondere in den ersten Jahren beruhigte sie das gelegentlich aufkommendes schlechte Gewissen damit, dass Marias lange Tage und die vielen Jahre in Krippe, Kindergarten und späterer Schulbetreuung, ihrer Tochter viel Wichtiges für das spätere Leben bringen würde. Kein Verhätscheln des Einzelkindes durch das schlechte Gewissen einer nur wenig präsenten Mutter. Vielmehr würde Maria von Beginn an merken, wie wichtig es ist, sich durchzusetzen und einzubringen, um etwas zu erreichen.
In der Tat wurde Maria eher selbständig als die meisten Kinder. Wahrlich keine Selbstverständlichkeit, war es aber für Stine die willkommene Absolution, mit Beruf und Kind letztlich doch alles richtig gemacht zu haben. Zumal sich Marias positive Entwicklung sogar über die fordernden Zeiten der Pubertät und darüber hinaus hielt. Die frühe Erkenntnis, Eigenverantwortung zeigen zu müssen, verinnerlichte Maria wohl in den ersten Lebensjahren so intensiv, dass sie es zunächst auf die Schule und später auf ihr Studium übertrug. Um der beschäftigten Mutter nicht zusätzlich eine Last zu sein, vergrub sie sich regelrecht in den Schulstoff und ins Lernen. Alles, was sie als Tochter zu einem störungsfreien Alltag ihrer kleinen Familie würde beisteuern können, wollte sie einbringen. Infolgedessen brachte Maria stets beste Noten nach Hause und schloss später ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften in Kopenhagen mit Auszeichnung ab.
Parallel zeigte Stine einen ebenso stetigen und umfassenden Einsatz als Geschäftsführerin. Angetrieben davon, ihrer Tochter als Ausgleich früher Opfer, einst ein rentables und erfolgreiches Unternehmen übergeben zu können, stand all die Jahre die Firma an erster Stelle. Aber all die Mühe würde sich lohnen, war sich Stine sicher. Nicht mehr lange, und sie würden nach Marias Studium wieder mehr Zeit gemeinsam verbringen, wenn die beiden Frauen auch der Arbeitsalltag verbinden würde. Es bestand für die geschäftsführende Mutter nie ein Zweifel daran, dass Maria direkt früh einsteigen würde, um schließlich Jahre später problemlos und störungsfrei den Staffelstab von ihrer Mutter zu übernehmen. Zumal sich auch Maria stets zugeneigt zeigte, ihren Weg so zu gehen. Wenn sie sich schon so umfassend während ihres Studiums einbrachte und bemühte, warum die erworbene Expertise nicht in das Familienunternehmen einbringen?
Aber noch wichtiger als die betrieblichen Zukunftsplanungen und Sicherung der familiären Kontrolle, war Stine etwas anderes. Durch die Jahre, die die beiden Frauen noch gemeinsam agieren würden, konnte etwas nachgeholt werden, was Stine seit Marias Kindertagen als verloren glaubte: Gemeinsame Zeit!
Da Stine vergleichsweise jung Mutter geworden war und Maria aufgrund ihres strebsamen Wesens ihr Studium quasi in Rekordzeit gemeistert hatte, wäre zu Stines 50. Geburtstag der Firmeneinstieg ihrer Tochter möglich geworden.
Möglich...ja.
Aber die Wirklichkeit war eine andere, und der Wunsch der Mutter blieb unerfüllt..
Hatte sich Stine darauf gefreut, die verpassten Kinderjahre später mit der nunmehr erwachsenen Tochter im
Berufsleben in gewisser Weise nachzuholen, stellte sich dem eine unerwartete Wendung in den Weg. Wie es im Leben oft der Fall war, gab es auch in Marias Leben einen Moment, wo der strebsame Kopf
durch das Kribbeln des Herzens zum Schweigen gebracht wurde:
Während ihres Studiums traf Maria auf den Mann ihres Lebens. Dies war der Anlass für Maria, dass eine Rückkehr in die Heimat, an die malerische Küste Sonderburgs, nicht mehr die oberste Priorität hatte. Vielmehr warb ihr Herz und die entflammte Liebe zu diesem Mann, der sie auf so einzigartige Weise berührt hatte, Kopenhagen zu ihrem neuen Lebensmittelpunkt zu machen. 320 Kilometer von der alten Heimat und ihrem eigentlichen Berufsweg entfernt.
Die 52jährige Frau wollte ihre Beine strecken, aber auf einmal kamen sie ihr bleiernd schwer vor. Sie musste schlucken und
ihr Blick wurde trübe, als sich die Erinnerungen von geplatzten Erwartungen, Unverständnis und Streit ihren Weg in die Gegenwart suchten. Stine dachte daran, wie das Gespräch mit ihrer Tochter
letztlich verlaufen war:
Maria hatte extra den persönlichen Weg zu ihrer Mutter gesucht. Wusste sie doch um deren Hoffnungen bezüglich
des Familienunternehmens und welch große Erwartungen sie hatte. All dies konnte sie nicht während eines Telefonates zu Grabe tragen. Sie wollte ihrer Mutter dabei gegenüber sitzen und in die
Augen schauen. Aber es schwang ebenso die Hoffnung auf Verständnis mit, würde ihre Mutter erkennen, welch Glück und Zufriedenheit sie durch ihren Partner gefunden hatte. Etwas, was bei aller
persönlicher Betroffenheit für eine Mutter doch auch ein Anlass zur Freude sein sollte:
Das Glück des eigenen Kindes erleben dürfen, sollte die Enttäuschung lindern können.
Oder etwa nicht?
Aber wie sich die Hoffnung der Mutter auf eine zweite Chance, ein Stück gemeinsamen Lebensweg, nicht erfüllte, wurde die Tochter darin enttäuscht, die eigene Freude und ihr Glück teilen zu können. Unmut und Unverständnis mütterlicherseits standen dem entgegen. Letzten Endes war es nicht nur ein unschönes Erlebnis, das Mutter und Tochter weiter voneinander entfernen sollte... sondern es war der Augenblick, der sie vollends entzweite! Ein Wort hatte das andere ergeben und je länger sie sprachen und schließlich lauthals stritten, umso heftiger wurden die gegenseitigen Vorwürfe.
Es war schließlich die Mutter, die ihre Tochter des Hauses verwies. Zuvor aber hatte ihr Maria zutiefst
verletzt vorgeworfen, sie nie wirklich als Kind, sondern stets nur als Betriebsinvestition gesehen zu haben. Wie ein Tier, das gemästet wurde, um es zur Schlachtbank zu führen, hatte sich Maria
nur noch für diese eine Aufgabe auserkoren gesehen: Sich in das Familienunternehmen einzubringen, Erwartungen zu erfüllen und letztlich jeglicher eigener Lebensvision sowie jedweder aufkommender
Liebe zu entsagen, wenn diese nicht in den Lebensplan der Mutter passte.
Das erneut ausgelassene Lachen des kleinen Jungen, der von den Schultern des Vaters auf den Schoß seines Großvaters
gewechselt war, holte Stine auf ihrem Liegestuhl aus ihre schwermütigen Erinnerungen. Als kurz darauf auch noch das Mädchen zum Opa auf den Schoß gekrabbelt war, wo alle drei in einer innigen
Umarmung verschmolzen, zitterten ihre Augen. Kurz darauf rollte eine Träne über Stines Wange.
Erst eine.
Dann eine zweite.
Und mit allen weiteren, die folgten, wuchs das Gefühl der Einsamkeit.
Stine hatte es es schon oft erlebt, aber selten so belastend empfunden, wie in diesem Moment. Ihr Blick haftete
auf der Familie, dem Glück der Eltern mit ihren Kindern und wie sie den Großvater an diesem Glück teilhaben ließen. Wer wusste, welch Pläne der alte Mann für seine Familie einst gehabt
hatte? War alles so eingetreten wie erwartetet und er konnte deshalb das Miteinander mit seinen Lieben so unvoreingenommen genießen?
Oder war er zufrieden, dass seine Kinder und Enkelkinder glücklich waren und er dessen noch
gewahr werden würde? Sie jedenfalls vergaßen ihn nicht, sondern suchten den Weg zu ihm, um ihr Glück zu teilen und so Freude zu schenken. Dass
Maria dagegen nicht den Weg zu ihr suchte und sie seit ein dreiviertel Jahr kein Wort mit ihrer Tochter gewechselt hatte, sowie bis heute nicht einmal den Mann kannte, mit dem
Maria ihr Glück gefunden hatte, verwunderte dagegen kaum.
Aber da Stine den Kontakt mit ihrem Rauswurf quasi abgebrochen hatte, war es wohl auch an ihr, den ersten Schritt zu tun.
War vielleicht jetzt die Zeit dafür gekommen?
Worauf noch warten, wenn die Einsamkeit einerseits so groß war und ungewiss, wieviel Zeit ein Mensch in seinem Leben noch haben würde?
Nicht wissend, wann auch hier die Zeit knapp werden würde, schien es angezeigt, die eigene Enttäuschung zu überwinden und so ihrer Tochter eine Tür zu öffnen. Das bedeutete nicht, dass diese auch hindurch gehen würde. Aber viel zu lange war diese Tür zugeschlagen, dass ein Zueinanderkommen ausgeschlossen war.
Die Gespräche und das Lachen der Familie wurde leiser, als sie mit dem alten Herrn langsam weiterzogen. Den kleinen Jungen
wieder Huckepack, reichte der Vater dem alten Mann seinen Arm, der sich für den weiteren Fußweg dort bei ihm einhakte. Langsamen Schrittes gingen sie den Weg entlang. Wenn es auch ihren eigenen
Schmerz zu nähren schien, blickte Stine ihnen nach. Bis sie aus ihrem Blickfeld verschwunden waren.
Verschwunden waren auch mehr und mehr die wärmenden Sonnenstrahlen. Es war kühler geworden, jetzt wo eine
zusehends dichte Wolkendecke die Sonnenstrahlen abfing. Fast schien es so, als hätte das Himmelsfirmament sich an ihren Gedankengänge orientiert. Je trüber ihre Gedanken wurden, umso
bedeckter wurde es. Bis sich das Strahlen der Sonne nur noch erahnen ließ.
Stine fröstelte es.
„So, Frau Janssen“, ertönte unvermittelt eine freundliche Stimme. Kurz darauf stand eine junge Frau neben dem
Liegestuhl und lächelte sie an. „Sie haben gleich Ihren Termin. Ich begleite Sie gerne vom Park zurück ins Haupthaus.“
Die ganz in weiß gekleidete Frau reichte ihr die Hand, um ihr aufzuhelfen. Lediglich das rote Kreuz auf ihrem
Namensschild und die blauen Buchstaben, die die Worte "Schwester Margarethe" bildeten, waren die einzigen Farbtupfer inmitten des leuchtenden Weiß.
Seines Beine fühlten sich noch immer schwer und träge an. Fast kam sie sich gebrechlicher vor, als der alte
Herr von der Bank unter den Bäumen. Umso dankbarer war sie für die helfende Hand der Frau, die ihre eigene Schwäche ausglich. Als sie schließlich zum Stehen kam und sich die Beine nach
anfänglichem Zittern gefangen hatten, warf Stine nochmals einen Blick über ihre Schulter. Aber von der Familie war nichts mehr zu sehen. Und auch von ihrer Freude war nichts mehr zu
hören.
Sie wandte sich wieder der jungen Frau zu, die sie aus einem freundlichen Gesicht anlächelte. Der
52jährigen fiel es schwer, das Alter von Menschen zu schätzen. Aber Margarethe würde wohl ungefähr in Marias Alter sein.
„Wenn Sie mögen, Frau Janssen, und es später nicht zu frisch ist, bringe ich Sie nach Ihrer Chemotherapie gerne
wieder hierher in den Krankenhauspark und Sie können sich hier davon erholen.“
„Danke“, erwiderte diese nur. „Aber ich möchte danach lieber auf mein Zimmer. Ich habe etwas zu
erledigen.“
„Aber übernehmen Sie sich nicht. Sie wissen, in Ihrem Zustand heißt es achtsam zu sein.“
Zeit. Sie füllt ein ganzes Menschenleben aus, egal wie lang es währt... und manchmal wird die Zeit für die wirklich wichtigen Dinge knapper, als wir wahrhaben möchten. Leben wir doch oft genug so, als wären wir unsterblich.